Alternativweltgeschichte – Alternate History

Stellen Sie sich die Weltgeschichte als einen stetig wachsenden und sich verzweigenden Baum vor. Machen Sie sich ein Bild von ihm! Als nächstes stellen Sie sich den gleichen Baum vor, nachdem ihm vor unbestimmter Zeit ein junger Zweig abgeschnitten und durch einen neuen Trieb, der in die andere Richtung wuchs, ersetzt wurde.

Sie verstehen, worauf ich mit diesem Vergleich hinaus will. Jeder Trieb des Geschichtsbaumes steht für den Ausgang eines relevanten historischen Geschehens. Er kann verkümmern oder sich zu einem großen Ast auswachsen. Wurde er aber gegen einen anderen ausgetauscht, verändern sich Wachstum und Aussehen des Weltenbaumes. Dies ist die Vorgehensweise eines Alternate history Autors. Er ist Förster, Baumschneider, Gärtner – egal wie man es nennen will. Welchen Trieb er austauscht ist seine Sache, in jedem Fall entsteht ein neues Geschichtsszenario.
Nun werden Sie vielleicht den Einwand erheben, dass der Geschichtsablauf unverrückbar ist, solange es keine Zeitreisen in die Vergangenheit gibt. Damit haben Sie natürlich Recht. Was einmal geschah, ist für immer geschehen. Dies besagt aber nicht, dass Geschichte immer einem zwingenden Verlauf folgt, ähnlich einer algebräischen Aufgabe, die immer nur zu einer richtigen Lösung führen darf.

Oft bestimmt das Eintreffen oder Ausbleiben eines einzigen Ereignisses das Schicksal ganzer Völker.
Stauffenbergs Bombe hätte Hitler vernichten können, die Kugel des Gavrilo Princip den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand verfehlen. Nehmen Sie sich die Zeit und lesen Sie den 28. Juni 1914 in Sarajewo nach und Sie werden ebenso wie ich zu der Ansicht kommen, dass hier nichts Logisches oder Zwingendes geschah. Der ganze Vormittag war eine Aneinanderreihung chaotischer Zwischenfälle und Princip hatte bereits die Hoffnung aufgegeben, als sozusagen aus dem Nichts das Auto des Thronfolgers vor ihm auftauchte. Hätte das Auto seine ursprüngliche Route beibehalten oder Princip daneben geschossen, wäre es nicht zum Kriegsultimatum gegen Serbien gekommen und der Erste Weltkrieg wäre erst später oder gar nicht ausgebrochen. Wie würde Europa heutzutage unter dieser Annahme wohl aussehen?

Solche Gedankenspiele sind gute alternate-history Themen . Sie eröffnen neue Blickwinkel auf die Weltgeschichte, wer sich ihnen anschließt, betritt eine fiktive Welt mit vielen Überraschungen. Wie sie aussieht, ob sie besser oder schlechter als die reale ist, bestimmt der Autor. Um überzeugend zu sein, muss er nicht bloß wissen, was die handelnden Personen in der Realität getan haben, er muss sie auch so weit verstanden haben, dass sie in einer veränderten Welt glaubwürdig erscheinen und der Leser sie gegebenenfalls neu bewerten kann. Nehmen wir Franz Ferdinand. Zu Lebzeiten keine populäre Figur, hätte ihm die Nachwelt Rosen gestreut, wenn er – wie es seine Absicht gewesen war – als Kaiser Franz II. von Österreich-Ungarn die Slawen zu einem dritten Reichsteil zusammengefasst und damit ihre radikalen Elemente beruhigt hätte. Sein Tod hat das verhindert.

Wenn Sie ihr eigenes Leben Revue passieren lassen, werden Ihnen Vorkommnisse, Ereignisse, Entscheidungen einfallen, die es mitbestimmt haben. Und vielleicht hätten Sie auch gerne gewusst, wie Ihr Leben verlaufen wäre, wenn Sie damals anders gehandelt hätte, der Brief nicht zu spät gekommen wäre, sie damals mehr gewusst hätten. Das gleiche tut der Autor auf einer Metaebene. Er denkt sich ein ´Was wäre geschehen, wenn`- Szenario aus, geht zum Geschichtsbaum, schnipselt ein Zweiglein ab und setzt ein neues in den Stamm.

Wer sich ausführlich über alternate history im Internet informieren will und das Englische nicht scheut, dem sei http://www.alternatehistory.com/discussion/ empfohlen. Auf die deutsche Wikipedia-Seite kommen Sie, wenn Sie den Suchbegriff ´Alternativweltgeschichte` eingeben. Hier sind allerdings die Informationen viel spärlicher.