Die Verabschiedung des Gesandten

Januar 1682. Alberto Caprara fröstelte in seinen türkischen Kleidern. Böiger Nordwestwind wirbelte an den Hausfassaden entlang und wehte ihm, wenn er nicht rechtzeitig den Kopf abwandte, eiskalten Schneestaub ins Gesicht. Er hätte lieber aus seiner Karosse gewunken, aber das Protokoll verlangte, dass er sich dem Volk zu Pferde zeigte. Caprara hegte keinen Groll gegen den Kaiser, der ihm diese Strapaze abverlangte. Die Ausstattung der Gesandtschaft hatte ein Vermögen gekostet und seine Untertanen sollten sie ausgiebig bestaunen, bevor sie die Reise nach Konstantinopel antrat. Dies war nun Gott sei Dank die letzte Schleife durch Wien.

Die Trompeter bliesen Fanfare, weil der Zug in die Kärntnerstraße einbog. Caprara hob grüßend die Hand zur wartenden Menge. Sogleich wurde mit Hüten, Mützen und Tüchern zurück gewunken. Begeisterung für den Herrn Gesandten, den angesehenen Diplomaten, Friedensmittler, Erretter vor der Türkengefahr, flammte auf. Als ob er nicht vor der Abreise stünde, sondern von seiner schwierigen Mission bereits heimgekehrt wäre! Der Graf aus Bologna mochte den Wiener Volkscharakter, einer geglückte Mischung aus nördlicher Strebsamkeit und südlicher Heiterkeit. Die Menschen verstanden sich aufs Arbeiten und aufs Lustigsein. In keiner anderen Stadt Europas ging der Karneval, den sie hier Fasching nannten, über viele Wochen. Aber auch in keiner anderen Stadt genossen Kaiser und Kirche solches Ansehen.

„Ich danke euch allen“, rief Caprara in die Menge, „ich danke euch allen im Namen unserer lieben Majestät, des Kaisers!“ Ärgerlicherweise drängte sich bald darauf ein Mann im Narrenkostüm auf einem Steckenpferd an seine Seite, auf den die Menge rasch aufmerksam wurde, weil er unter seltsamen Verrenkungen mit lauter Stimme allerlei despektierliches Zeug in wienerischem Deutsch von sich gab. Gegen die Obrigkeiten, gegen die Pfaffen und ganz allgemein gegen alles, worunter ein armer ehrlicher Mann zu leiden hatte.

Das brachte ihm viele Lacher und Nachahmer ein. Links und rechts von Caprara schossen die Narren wie Pilze aus dem Boden und schrien heraus, was sie den Rest des Jahres nicht einmal denken durften. Der Gesandte blieb gefasst. Es war Fasching und wie gesagt, Gott sei Dank, nicht mehr weit zur kaiserlichen Burg.

Nicht allen gefiel der ausgelassene Trubel. Der Apotheker und zeitweilige Stadtrat Julius Schönberger schaute missbilligend vom Fenster seiner Wohnstube auf die Kärntnerstraße. Was sich unten abspielte, bestätigte seine schlechte Meinung von Volksaufläufen im Allgemeinen und vom Wiener Straßenfasching im Besonderen. Da lief ein Bursche herum, der jungen Frauen eine blind geladene Flinte unter die Röcke hielt und abdrückte. Ein Mann im Türkenkostüm war niedergeschlagen worden und lag blutend im Schnee. Männer rannten fremden Weibern nach, Paare tauschten ungeniert Zärtlichkeiten aus. Jeder meinte, tun zu können, was er wollte, weil die sonst gar nicht zimperliche Obrigkeit das Treiben im Fasching mit halb geschlossenen Augen verfolgte. Schönberger verglich das Leben des gemeinen Volkes mit einem erhitzten Wasserkessel. Elf Monate im Jahr verschlossen und unter Druck, entwich siedend heißer Dampf, sobald man den Deckel wegnahm.

Schönbergers zwei Enkel standen hinter ihm und stiegen vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen.

„Lass uns auf die Gasse, Großvater!“

„Zum dritten Mal nein!“

„Dann werde ich weinen“ drohte der Kleinere.

„Dann wein halt, Richard!“, sagte Schönberger giftig. „Ist mir lieber, als wenn du mit blutigem Schädel auf der Straße liegst! Von hier siehst du genug!“

Außer ihm und den Enkeln hielten sich noch vier Männer in der Stube auf. Einer von ihnen zog ein Holzkästchen aus der Tasche und rief die Knaben zu sich.

„Das habe ich euch aus der Goldschmiedgasse mitgebracht. Macht es auf!“

Der Ältere, Jakob, zog zwei Kettchen mit runden Anhängern heraus.

„Oh!“

„Gehört euch, wenn ihr mir erklären könnt, was es ist.“

„Wir danken jetzt schon dem lieben Herrn“ sagte Jakob. „Es sind Amulette. Auf der Vorderseite ist der Komet mit seinem Schweif, den wir im letzten Winter Wochen lang am Nachthimmel gesehen haben und auf der Rückseite ein Spruch, der Gottes Hilfe gegen den bösen Stern und die Türken erbittet. Denn der Komet ist ein Zeichen kommenden Unglücks.“

„Brrr“, machte Richard und der Spender der Amulette, der auf der Wiener Universität die Keplersche Planetenlehre unterrichtete, klopfte ihm besänftigend auf den Rücken.

„Jetzt haben wir 1682. Ein Jahr ist vergangen und nichts Böses geschehen.“

„Weil so viele die Amulette tragen“, bemerkte Schönberger sarkastisch. Die Hausfreunde, die seine Abneigung gegen den Aberglauben teilten, lächelten, die Knaben, die den Großvater missverstanden hatten, hängten sich die Amulette glückstrahlend um den Hals und liefen zum Fenster zurück. Richard lehnte sich so weit hinaus, dass der Bruder ihn beim Kragen packte und ein Stück zurück zog.

„Sie kommen und sie haben das Kamel dabei!“

„Es wird bald viel Geld die Donau hinunter schwimmen“, bemerkte Hans Aschacher und verzog das Gesicht. Als Kanzlist des Kriegsrates saß Aschacher direkt an der Quelle und erging sich oft in Andeutungen über die wunderliche Politik des Präsidenten Hermann von Baden.

„Ihr meint, der Aufwand lohnt nicht, weil der Krieg bei den Türken bereits beschlossene Sache ist?“, fragte Schönberger.

„Weil wir bereits einen tüchtigen Gesandten in Konstantinopel haben und Graf Caprara auch nicht mehr bewirken kann als der Baron Kunitz. Viele Herren im Hofkriegsrat denken, der Kaiser sollte mit dem Geld, das ihn die Sondergesandtschaft kostet, besser neue Regimenter werben, um mit den ungarischen Rebellen aufzuräumen. Das würde bei den Türken Eindruck schinden! Aber Markgraf Hermann hat dem Kaiser eingeredet, der Gesandte Kunitz wäre seiner Aufgabe nicht gewachsen. Tatsache ist, der Kunitz hat in seine Berichte Dinge geschrieben, die dem Markgrafen nicht passen.“

„Ist es richtig, dass ein ganzes Schiff mit Geschenken für den Sultan auf der Donau liegt?“

Aschacher bejahte. Ein Schiff mit Geschenken für Sultan, Großwesir, die osmanischen Würdenträger im Serail und für alle Paschas, durch dessen Provinz die Reise ging, lag scharf bewacht am Wiener Kanal.

Schönberger ging zum anderen Fenster, um nach der Quelle der tierartigen Laute, die einmal einem Eselsgebrüll, dann wieder mehr einem Pferdewiehern ähnelten, zu fahnden.

„Ruhe! Was soll das? Habt ihr Bauchschmerzen?“

„Richard versucht wie ein Kamel zu schreien.“

„So schreit ein Kamel nicht! Was willst du mit dem Schneeball Jakob?“

Der Knabe hatte einen Schneeball geformt und holte zum Wurf aus. Schönberger griff nach seinem Arm.

„Lass mich doch, Großvater! Ich will, dass es schreit!“

Der Schneeball beschrieb nicht die gewünschte Flugbahn und traf statt des Tiers seinen Wärter im Gesicht. Der Mann fluchte und die Danebenstehenden brachen in lautes Gelächter aus. Dass sein Jakob, anstatt sich zu schämen lauthals lachte, erzürnte den Großvater so sehr, dass er den Knaben zur Bestrafung in die Zimmerecke zerrte.

Auf der Strasse war der Bann gebrochen. Schneebälle flogen gegen die minderen Männer der Gesandtschaft, die in ihren einfacheren Kleidern leicht auszumachen waren. Caprara richtete ein Stoßgebet gegen den Himmel, dass keiner die Nerven verlor und die Waffe gegen einen dieser Narren zog. Um kein Ziel abzugeben, stieg er vom Pferd und beobachtete das Geschehen durch die Scheiben seiner Kutsche. Das Bombardement hörte zwei Gassen später auf. Caprara überlegte kurz, ob er wieder in den Sattel steigen sollte. blieb dann aber sitzen. Er diente dem Kaiser nicht schlechter, wenn er die letzte Wegstrecke in der relativen Wärme der Kutsche zurücklegte.