Die Gegenmine

Ein kurzes Stück konnte er aufrecht gehen, dann wurde die Decke niedriger und er musste in gebeugter Haltung weiter. Erde rieselte von der Decke. Die Tiroler Bergleute, die Starhemberg vor Monaten angefordert hatte, waren niemals in Wien eingetroffen und Rimpler hatte beim Graben auf Freiwillige zurückgreifen müssen. Strenggenommen war das kein Stollen, sondern ein ungesichertes Erdloch. Sein Herz schlug wild, als sich ein Stein löste und Erdreich nachrutschte. Er blieb stehen und wartete, dass es aufhörte.

„Was ist?“, zischte der Mann hinter ihm.

Er ging weiter, obwohl der Drang umzukehren, mit jedem Schritt größer wurde. Es dauerte nicht lange, bis sein Rücken die Decke streifte und er in den Knien gebeugt wie ein Frosch halb hüpfend, halb kriechend über den Boden schlurfte.

„Herr Obrist. Man hört schon die Türken!“

Ja, er hörte es auch. Klopfen und das Geräusch, wenn Eisen auf Stein schlagt.

„Alle sollen den Mund halten! Sag es denen hinter dir!

Er kroch weiter. Nach einer Zeit, die ihm wie eine halbe Ewigkeit erschien, tat sich rechts eine Öffnung auf. Die Pulverkammer. Er leuchtete sie mit der Fackel aus. Zwei Fuß breit und sechs Fuß tief, schätzte er. Drinnen standen drei Fässer Schwarzpulver. Im Spund des ersten Fasses steckte eine Zündschnur.

„Leucht mit deiner Fackel nach vorn!“

Er legte die eigene zur Seite und machte sich daran, die verteerte Eintrittsstelle zu überprüfen. Sie schien in Ordnung. Das Klopfen und metallische Kratzen war verstummt, dafür hörte er jetzt eindeutig Stimmen und ein dumpfes Rumpeln. Schafften die Türken bereits ihren Sprengstoff in den Minenofen oder brachten sie bloß Erde hinaus? Er konnte unmöglich sagen, aus welcher Richtung das kam. Die Bergknappen hätten es vielleicht gewusst, aber die weilten ja im schönen Tirol.

„He, wird da hinten geredet?“

„Nein, Herr Obrist. Das sind immer die Türken.“

„Schieb das Rohr über die Zündschnur!“

Das war gleich geschehen. Jetzt musste er die Pulverkammer fest verschließen, damit die Explosion nicht nach hinten schlug.

„Ziegel und Mörtel!“

„Dreht Euch zuerst, Herr Obrist“, sagte der Mann hinter ihm. Ah ja, er musste die Drehung schaffen! Mit dem Kopf in der Pulverkammer versuchte er, die Füße an der gegenüberliegenden Stollenwand vorbeizubringen. Es ging nicht. Er krümmte sich wie ein Wurm zusammen und versuchte es erneut. Die Knie steckten fest. Er presste seinen Hinterkopf gegen das Pulverfass und das rechte Knie kam frei. Mit dem nun freien rechten Arm drückte er sich mit aller Kraft von der Stollenwand ab, die Pulverfässer, von denen jedes eineinhalb Zentner wog, bewegten sich ein wenig und er brachte auch das linke Bein nach hinten.

„Herr Obrist!“

Breitenbrunner wälzte sich auf den Bauch und blickte hoch. Er hatte nun den Mann, der ihm nachgekrochen war, vor sich. Der Mann machte einen ruhigen Eindruck. Seine Fackel steckte mit einem Eisenspitz im Boden. Die neue Position mit dem Kopf zum Ausgang behagte ihm besser.

„Das Seil Herr Obrist!“

Jeder der Männer im Stollen hatte ein Seil um einen Fuß gebunden für den Fall, dass er verschüttet wurde. Beim Wendemanöver hatte es sich um seinen Hals gewickelt und er hatte es nicht gemerkt.

Er löste das Ende von seinem linken Fuß, befreite seinen Hals vom Seil und band es wieder fest.

„Los, fangen wir mit dem Mörtel an!“

Die Ziegel zu vermörteln hielt er für blanken Unsinn, weil keine Zeit blieb, ihn trocknen zu lassen. Aber Rimpler hatte darauf bestanden. Er rutschte von der Nische weg. Kniend und mit verkrümmtem Oberkörper begann klatschte er den Mörtel mit der Kelle auf den Boden, der Mann gab das leere Schaff an den Hintermann weiter und schob ihm den ersten Ziegel zu. Breitenbrunner drückte einen Ziegel nach dem anderen in das Mörtelbett, mit dem Mörtel aus dem nächsten Schaff verschmierte er die Fugen. Rimpler hatte gesagt, dass eine einfache Ziegelmauer dem Explosionsdruck standhalten sollte, wenn man den Stollen dahinter wieder mit Erdreich auffüllte. Die nächste Lage Ziegel stellte er quer und die darauf folgende wieder wie die erste. Die Ziegel kamen schnell zu ihm, auf den Mörtel musste er immer warten. Das war peinigend und er bediente sich mehrmals aus der Lederflasche seines Helfers. Endlich hatten die Ziegel die Decke erreicht und er stopfte Holzkeile in die verbliebene Lücke.

„Hast du den Krampen?“

„Ja“

Breitenbrunner kroch ein Stück vorwärts und drückte sich auf den Boden, damit der Mann über ihn kriechen konnte.

„Geht alle zurück“, flüsterte er dem Mann zu, der nun als nächster bei ihm lag. Falls der Stollen einstürzte, würden wenigstens sie draußen sein. Der Mann begann die Stollendecke mit dem Krampen zu bearbeiten, Breitenbrunner hörte ihn vor Anstrengung keuchen. Mit jedem Schlag kam Erde wie ein Sturzbach herunter. Was sie hier taten, war verrückt. Bergknappen würden nie einen ungesicherten Gang mit einem Krampen abschlagen und die Türken, hatte Rimpler erzählt, dichteten Ihre Minenofen mit einem Rost und Sandsäcken ab.

„Fertig“, flüsterte der Mann.

„Hast du es ordentlich getan?“

„Ja.“

„Dann raus aus dem Stollen!“

Breitenbrunner band sich das Seil um den guten rechten Arm, zog die brennende Fackel – es war schon die dritte oder vierte – aus dem Boden und hielt sie an das Ende der Zündschnur.